[REC]
E 2007 / O: „[Rec]“ / Prod..: Filmax / Laufzeit: 83 Min. (Kino) / FSK: ab 18
Regie: Jaume Balagueró & Paco Plaza / Kamera: Pablo Rosso / Schnitt: David Gallart / Ausf. Prod.: Carlos Fernández, Julio Fernández / Prod.: Julio Fernández / Buch: Jaume Balagueró, Paco Plaza, Luis Berdejo
Manuela Velasco (Ángela), Ferran Terraza (Manu), Carlos Vicente (Guillem), Pablo Rosso (Pablo), David Vert (Alex), Jorge Serrano (Sergio), Maria Lanau (Mutter), Manuel Bronchud (Abuelo), Carlos Lasarte (Cesar), Vicente Gil (Polizist) sowie Javier Botet, Martha Carbonell, María Teresa Ortega, Claudia Font
Kein Vorspann, keine Credits, keine Titelnamen, nur das nicht gänzlich unbekannte Filmax-Logo des spanischen Produzenten Julio Fernández flackert kurz auf, ehe es wieder surrend verschwindet und durch die Reporterin Ángela ersetzt wird, die sich für ihre Sendung bereit macht. In Begleitung ihres Kameramanns Pablo arbeitet sie als Fernsehreporterin für eine Reality-TV-Show, die erkunden will, was diverse Berufsstände denn nachts so treiben. Diesmal ist die Feuerwehr dran. Unermüdlich plappert sie sich so durch’s Gebäude und lässt die Feuerwehrleute bei ihren Tätigkeiten filmen: schlafen, essen, Basketball spielen. Es scheint nichts los zu sein, dabei wünscht sich Angela, das sie zu einem Einsatz ausrücken, nichts schlimmes, halt nur etwas, dass es zu filmen geht. Schließlich schrillt sie doch noch, die Alarmsirene: Ein Notruf ist hereingekommen. Doch kein Feuer, dass es zu löschen gilt – sondern etwas viel schrecklicheres.
Zusammen mit Angela und ihrem emsig filmenden Kameramann Pablo fährt das Feuerwehrauto zu dem Einsatzort: ein Mietshaus. Zwei Polizisten sind auch schon da. Anwohner hätten aus einer der Wohnungen in den oberen Stockwerken furchtbare Schreie gehört, keiner weiß so recht, was da vor sich geht. Sie brechen die Tür auf und finden eine alte, verwirrte und blutüberströmte Frau, die orientierungslos durch ihre Stube irrt. Und dann geht alles ganz schnell: In rasender Tobsucht fällt die Frau über einen der Polizisten her und beißt ihm in den Hals; wenig später droht er zu verbluten. Kurz darauf stürzt einer der Feuerwehrleute von oben herab durchs Treppenhaus und zieht sich schwere Verletzungen zu. Und dann… als sie das Haus verlassen wollen… hat die Gesundheitsbehörde das Gebäude abriegeln lassen. Es steht nun unter Quarantäne, keiner darf mehr raus und keiner hinein. Es würde auch keiner freiwillig in dieses Haus wollen: Ein Virus ist ausgebrochen, der die Menschen in tobsüchtige, aggressive Bestien verwandelt. Und diese wollen nur eins: töten.
Pablos Kamera filmt alles. Bis zum Schluss…
Mit vielen Vorschlussbeeren, Festivalpreisen und einer neugierig machenden Mundpropaganda bedacht, hält [REC] sein Versprechen mehr als ein: er ist einer der besten, grusligsten, nervenzerfetzendsten und Angst einflössendsten Horrorfilme, die die Leinwand in den letzten Jahren erblickt hat. Und ein weiterer Beweis dafür, dass sich Spanien, nicht nur in den letzten Jahren, als Ausgangsort origineller Genreware etabliert hat, man denke nur an Meisterwerke wie die cleveren, doppelbödigen Spukhausfilme THE OTHERS von Alejandro Amenábar und Juan Bayonas DAS WAISENHAUS sowie Guillermo del Toros wunderschöner, phantasievoller PANS LABYRINTH.
[REC] ist eine äußerst fruchtbare Gemeinschaftsinszenierung zweier Filmemacher, die in den letzten ebenfalls positiv aufgefallen sind: Jaume Balagueró, der 1999 seinen Durchbruch mit dem verstörenden THE NAMELESS feierte und für Filmax die beiden Ghost-House-Movies DARKNESS (2002) und FRAGILE – A GHOST STORY (2005) beisteuerte, und Paco Plaza, der international durch den Mysterythriller SECOND NAME (2002) und die Werwolfgeschichte ROMASANTA (2005) aufgefallen ist.
[REC] bedient sich eines filmischen Kniffs, der erstmals in dieser Form im genialen BLAIR WITCH PROJECT (1999) angewendet wurde und sich aktuell größter Beliebtheit erfreut: nämlich die Ereignisse komplett aus der Sicht einer Videokamera erzählen zu lassen. Auch George A. Romero (DIARY OF DEAD), Matt Reeves (CLOVERFIELD), Jonathan Hensleigh (CANNIBALS – WELCOME TO THE JUNGLE) und Brian de Palma (REDACTED) wählten diese besondere Form als erzählerisches Mittel. Ein erfolgreicher Trend also, den Balagueró und Plaza äußerst wirkungsvoll einzusetzen zu wissen.
Hätte das Regieduo den Film auf konventionelle, althergebrachte Weise erzählt, wäre er sicherlich weit weniger wirkungsvoll ausgefallen. Tatsächlich erinnert die Ausgangsituation mit dem ausgebrochenen Virus an Zombiegeschichten, wie wir sie von DAWN OF THE DEAD bis 28 DAYS LATER zur Genüge kennen. Doch da Balagueró & Plaza mit pseudo-dokumentarischem Material arbeiten, werden die hier geschilderten Ereignisse auf eine geradezu drastische Weise spürbar realistisch: der Zuschauer ist im wahrsten Sinne des Wortes mittendrin, statt nur dabei, denn er blickt durch die Kamera von Pablo Rosso, der sich hier passenderweise gleich selbst spielt.
Manchmal sieht man nicht alles, weil die Bilder so verwackelt und hektisch sind, und dann wieder hat man das Ausmaß des Schreckens in all seiner Konsequenz klar und deutlich vor Augen. Die fiebrig-pulsierende Atmosphäre, die dabei entsteht, erzeugt ein Gefühl der Panik und des Ausgeliefertseins, dem man sich so gut wie gar nicht entziehen kann. Das Ergebnis ist ein beklemmend realistisches Horrorszenario: Es gibt keine Musikuntermalung und man glaubt auch nicht, Schauspieler vor sich zu haben, sondern echte, handelnde Menschen, die in dieser alptraumhaft-ausweglosen Situation, die immer mehr außer Kontrolle gerät, hinein gestoßen wurden.
Der Blick aus dem Fenster, wenn die Protagonisten hilflos mit ansehen müssen, wie das Gebäude von Polizei und Gesundheitsbehörde „versiegelt“ wird, ist nicht weniger beunruhigend und ist der Situation in George A. Romeros CRAZIES, der ja auch die behördliche Allmacht dokumentierte, nicht ganz unähnlich. Und doch ist es das einzig richtige, was sie tun können: das Haus absperren und unter Quarantäne stellen. Der Mitarbeiter, der schließlich hinein gelassen wird, um die Dinge zu untersuchen, erzeugt in seinem Schutzanzug aus der Sicht der eingeschlossenen Menschen nur ein weiteres Gefühl des Unbehagens. Ein Gefühl, was sich auch auf den Zuschauer überträgt: Wenn die ratlose Mutter, die in ihrer Hilflosigkeit immer wieder versichert, das ihr kränkelndes Kind, welches sie auf dem Arm trägt, nur Angina hat, wartet man nur darauf, bis das kleine Mädchen sich in eines dieser mordlüsternen, entsetzlich schreienden Furien verwandelt. Und das passiert genau dann, wenn man es nicht erwartet hat. [REC] hat einige der wirkungsvollsten Schockszenen, die in den letzten Jahren im Kino zu sehen waren. Wer sich gerne erschrecken läßt, kann man diesen Film nur empfehlen. Das packende Finale, das fast in gänzlicher Dunkelheit spielt, setzt noch mal eins drauf.
Da hat Hollywood in all seiner Einfallslosigkeit mal wieder nichts anderes zu tun, als ein Remake anzufertigen: QUARANTINE soll noch Ende dieses Jahres starten. Bleibt abzuwarten, ob die Schiene mit dem pseudo-dokumentarischem Filmmaterial, gerade nach der aktuellen Flut an Filmen dieser Art, nicht schon wieder abgedroschen ist. Ein Trend kann schneller vorbei sein, als raffgierigen Produzenten lieb ist. Doch [REC] wird ihn überleben: ein Film mit Klassiker-Status, der dieses Genre auf eine erfrischende Weise belebt, wie es die ganzen Meisterwerke aus den 70ern (von TEXAS CHAINSAW MASSACRE über HALLOWEEN bis DAWN OF THE DEAD) taten.
- „…hochenergetisches europäisches Horrorkino. Ein echter Pulsbeschleuniger.“ (Peter Osterried, MOVIESTAR 03/2008)
- „Die Konsequenz, mit der die Filmemacher hier mit der Einheit von ort und Zeit umgehen, ist bewundernswert. Das Ende ist eine Hommage an SILENCE OF THE LAMBS, gesehen durch die Augen des Videokünstlers Chris Cunningham, und schafft eine visuelle Überraschung als man glaubt, nicht mehr überrascht werden zu können.“ (Sascha Eichholz, DEADLINE 01/2008)
- „Ja doch, das ist eine völlig herkömmliche Zombie-Story, wie es Dutzende gibt. Aber weil man das Geschehen nur durch die begrenzte Perspektive des Kameramanns sieht, zieht es einen unbarmherzig hinein in diese klaustrophobische Geschichte, in die Schrecken, die Todesängste, die Verzweiflung der Reporter.“ (Oliver Reinhard, SÄCHSISCHE ZEITUNG, 10./11.05.2008)