DIE RÜCKKEHR DES UNBEGREIFLICHEN
USA 1987 / O: "Retribution" / Prod.: Renegade; Unicorn / Laufzeit: 109 Min. (Blu-ray) bzw. 105 Min. (DVD); uncut / FSK: ungeprüft
Regie: Guy Magar / Musik: Alan Howarth / Kamera: Gary Thieltges / Schnitt: Guy Magar, Alan F. Shefland / Ausf. Prod.: Chris Caputo, Brian Christian, Scott Levin / Buch: Guy Magar, Lee Wasserman
Dennis Lipscomb (George Miller), Leslie Wing (Jennifer Curtis), Suzanne Snyder (Angel), Jeff Pomerantz (Dr. Falconer), George Murdock (Dr. Talbot), Pamela Dunlap (Sally Benson), Hoyt Axton (Lt. Ashley), Susan Peretz (Mrs. Stoller), Chris Caputo (Dylan), Ralph Manza (Amos), Mario Roccuzzo (Johnny Blake), Harry Caesar (Charlie), Mike Muscat (Vito Minelli Sr.), Tony Cox (Hotelbewohner), Guy Magar (Taxifahrer) sowie Clare Peck, Jeffrey Josephson, Danny D. Daniels, George Caldwell, Muriel Minot u.a.
Zurück in die 80er – mit DIE RÜCKKEHR DES UNBEGREIFLICHEN. Der deutsche Titel ist mal wieder reichlich sinnentleert; der Originaltitel RETRIBUTION (= Vergeltung) trifft den Kern der Geschichte weitaus besser.
Wer die Horrorfilme der 80er Jahre mag, kommt hier gleich während des Vorspanns auf seine Kosten: mit einer wunderschönen, für diese Zeit so typischen First-Person-Kamerafahrt – in diesem Fall durch die nächtlichen Straßen durch L.A.; musikalisch passend untermalt durch die entsprechenden Synthesizer-Beats, ebenfalls ein Merkmal dieser erhabenen Filmdekade. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte diese Fahrt durch die Nacht ruhig noch eine Weile andauern können. Auf alle Fälle kann hier RETRIBUTION von Beginn an mit einer wirklich starken und einnehmenden Atmosphäre punkten.
Die Dämonenfratzen und Monstermasken, die während der nächtlichen Autofahrt im Vorspann vorbeihuschen, führen uns schließlich zu einer Halloweenparty mit tragischem Ausgang. Auf dem Hoteldach einer billigen Absteige steht der verzweifelte, erfolglose Maler George Miller (Dennis Lipscomb) – und springt herunter. Er überlebt schwer verletzt und wird mühsam von seiner Therapeutin (Leslie Wing, THE FRIGHTENERS) wieder aufgepäppelt. Doch gegen seine zunehmenden Alpträume kann sie auch nichts ausrichten. Diese entpuppen sich als schreckliche Realität: Wann immer George Miller davon träumt, dass er Menschen auf brutale Art und Weise umbringt, wird er am darauf folgenden Tag mit der beunruhigenden Tatsache konfrontiert, dass diese grausamen Morde tatsächlich passiert sind…
Es ist schon schade, dass Guy Magar mit RETRIBUTION seine einzige Möglichkeit hatte, einen Film für die große Leinwand zu inszenieren. Für ihn war dieser Film alles andere als eine Auftragsarbeit, sondern eine Herzensangelegenheit: Er führte Regie, fungierte als Co-Autor, Co-Cutter und hat vor der Kamera einen kleinen, kuriosen Auftritt als Taxifahrer.
Das RETRIBUTION von der hiesigen, sogenannten „offiziellen“ Kritik zum Teil komplett verrissen wurde – darauf sollte man nichts geben. Mag sein, dass RETRIBUTION mit zu den Filmen gehört, die ihre Kunst erst im Nachhinein und im nostalgischen Rückblick auf die 80er zu entfalten wissen. Sicherlich hat der Film so seine Marotten, seine Ecken und Kanten sowie eine ganz eigene Dynamik. Manchmal nimmt Magar auch das Tempo raus, doch selbst die zwei, drei Längen, die RETRIBUTION speziell in der Mitte hat, schaden dem Film nicht (15 Minuten weniger und er wäre etwas kompakter und straffer ausgefallen) , da man sich hier gerne einlullen läßt – insbesondere von der hypnotischen Grundstimmung in Verbindung mit den Bildern und dem adäquatem Soundtrack von John-Carpenter-Weggefährte Alan Howarth.
Inhaltlich hat man sich von einigen NIGHTMARE ON ELM STREET-(Alp-) Träumereien inspirieren lassen, hinzu kommen eine Variation des „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“-Motivs, Selbstjustiz-, Gangster- und Rachefilm sowie Dämonen- und Besessenheits-Horror. Und: eine Liebesgeschichte gibt es auch noch. Die Romanze zwischen George und der jüngeren Prostituierten Angle (Suzanne Snyder) ist schon sehr rührend dargestellt. Einen zusätzlicher Reiz strahlt das hier geschilderte Milieu, in dem sich George bewegt, aus: sowohl das heruntergewirtschaftete Hotel mit all seinen gestrauchelten Existenzen als auch die Straßenstrich- und Kunstszene sind sehr schön charakterisiert. RETRIBUTION kann man durchaus als einen Horrorfilm mit Gefühl bezeichnen.
Die Stimmung, die RETRIBUTION von Anfang bis Ende heraufbeschwört und den Zuschauer wie in Hypnose erstarrt in die 80er Jahre zurücktaumeln läßt, ist eine der großen Stärken dieses wunderprächtigen Horrorfilm-Kleinods. Im Übrigen ein Film, der es mehr als verdient hat, neu entdeckt zu werden. Die surreale, in den Farben rot, grün und blau flackernde, grelle Neon-Optik kennzeichnet RETRIBUTION als ein typisches Produkt dieses Jahrzehnts, wobei auch mit härteren Effekten nicht gegeizt wird.
Dennoch schafft es Guy Magar, und das hat er mit seinem einzigen Kinofilm sehr wohl begriffen, die Gewaltexzesse nicht den gesamten Film dominieren zu lassen. Eine Tatsache, die andere Filmemacher immer und immer wieder verhunzen. Es ist eine Kunst, einen Horrorfilm über die gesamte Laufzeit eben nicht (nur) auf ein bluttriefendes Splatterspektakel reduzieren zu lassen – nur um es in den entsprechenden Szenen richtig krachen zu lassen.
So gibt es eine ausgelassene und wunderbar krude Splatterszene, in der ein Mann im Schlachthaus in einen Schweinekadaver gesteckt und anschließend von oben bis unten durchgesägt wird. In einer anderen Szene ist ein Typ gezwungen sich selbst die Hand abzutrennen, nur um danach einen grausigen Flammentod zu sterben.
Die Zusammenhänge und Hintergründe offenbaren sich für den Zuschauer schon sehr früh, trotzdem schafft es Guy Magar ihn bis zum rauschartigen Finale bei der Stange zu halten. Die Auflösung mag jetzt nicht 100%ig originell sein, aber es passt alles zusammen.
Der am 01.03.1942 in New York geborene Dennis Lipscomb sorgt in der Hauptrolle auch dafür, dass einem die Geschichte eben nicht egal ist und man mit der tragischen Figur des gebeutelten, erfolglosen Malers George Miller mitfühlt. Lipscomb bringt hier sowohl Millers unsicheren, depressiven Charakter als auch dessen dämonisch-besessene Alptraum-Variante, die in den Visionen zu sehen ist, gut rüber. Auch ihm hätte man einen größeren Bekanntheitsgrad gewünscht. Immerhin war Dennis Lipscomb in den 80ern und 90ern mit großen und kleinen Nebenrollen u.a. in John Badhams WAR GAMES (1983), Nicholas Meyers THE DAY AFTER (1983), Walter Hills CROSSROADS (1986), im Okkult-Horror PENTAGRAMM – DIE MACHT DES BÖSEN (1990) und Andrew Davis‘ ALARMSTUFE: ROT (1992) recht gut beschäftigt gewesen; daneben absolvierte er noch zahlreiche Serien-Gastauftritte u.a. in DALLAS, DAS A-TEAM, POLIZEIREVIER HILL STREET, T. J. HOOKER, AGENTIN MIT HERZ, DAS MODEL UND DER SCHNÜFFLER, KAMPF GEGEN DIE MAFIA und AKTE X. RETRIBUTION sollte neben seinem Filmdebüt NACHTS IN UNION CITY (1980), wo er an der Seite von Deborah Harry als neurotischer Buchhalter glänzte, seine einzige Hauptrolle bleiben. 2002 zog er sich komplett aus dem Filmgeschäft zurück; am 30.07.2014 verstarb er im Alter von 72 Jahren.
Noch ein Wort zu Guy Magar:
Sein Regiedebüt gab der 1948 in Ägypten geborene Guy Magar mit einer Episode der Science-fiction-Serie BUCK ROGERS, danach inszenierte er weiter fürs US-Fernsehen, wie z.B. diverse TV-Folgen von DAS A-TEAM (1983), HARDCASTELE & McCORMICK (1983), DAS FLIEGENDE AUGE (1984), später auch NIKITA (1997/98) und SLIDERS (1999). Mit RETRIBUTION gab er 1987 sein Spielfilm-Debüt – es sollte sein einziger Film bleiben, der im Kino lief. Die paar Filme, die Guy Magar danach gemacht hat, waren dagegen nur uninspirierte Durchschnittsware, darunter das überflüssige Sequel STEPFATHER III – VATERTAG (1992) oder der billige Mafiathriller CLASH – SHOWDOWN IN L.A. (1994). Nach dem mäßigen Aufguss KINDER DES ZORNS 7 – REVELATION aka CHILDREN OF CORN – REVELATION (2001) zog er sich komplett aus dem Film- und TV-Geschäft zurück. Und blieb trotzdem dem Medium Film verbunden: Er gründete das Action / Cut Filmmaking Seminar und den dazu gehörigen, jährlich stattfindenden Kurzfilmwettbewerb, der jungen Filmemachern eine Möglichkeit bietet, ihre Talente zu präsentieren (nach 2013 gab es aber keine Veranstaltung mehr). 2011 schrieb Guy Magar seine Autobiographie „Kiss Me Quick Before I Shoot“.
Die Veröffentlichungen in Deutschland
Bei uns war RETRIBUTION seit dem deutschen Kinostart am 21.04.1988 unter dem sinnlosen, dämlichen Titel DIE RÜCKKEHR DES UNBEGREIFLICHEN über viele, viele Jahre nur in einer in den Gewaltszenen arg geschnittenen, ramponierten Fassung zu sehen. Das betrifft auch die spätere VHS-Veröffentlichung durch das Label UFA sowie diverse TV-Ausstrahlungen in den 90ern auf PRO 7 – von den gorigen Effekten blieb hier nicht mehr viel übrig. Abhilfe schaffte hier im Jahre 2002 das in Konkurs gegangene Label e-m-s, das den Film in Deutschland auf DVD nicht nur ungekürzt, sondern auch noch in der Unrated-Fassung veröffentlichte.
Das Label OFDb Filmworks brachte am 10.04.2015 RETRIBUTION endlich auch hierzulande in der gebührenden Veröffentlichung heraus: und zwar als schickes Digipak, das den Film auf jeweils 1 Blu-ray und 2 DVDs in der ungeschnittenen Kinofassung und in der Unrated Fassung (in SD) enthält. Als Extras gibt es den Audiokommentar von Guy Magar (leider ohne dt. UT), die Deleted Scenes der Unrated Fassung, den Trailer und ein Booklet mit einem Text von Nils Bothmann. Das schicke Set ist auf 1000 Stück limitiert und durchnummeriert. Weitere Details finden sich auf der Website von OFDb und die Möglichkeit zum Bestellen gibt es auf der OFDb Shopseite.
- Hoyt Axton (GREMLINS) spielt in einer Nebenrolle den hartnäckigen Detective; als Psychiater und Curtis‘ Vorgesetzter ist George Murdock (1930 – 2012) zu sehen – er war u.a. „Gott“ in STAR TREK V (1989) und Admiral Hanson im legendären STAR TREK – TNG-Zweiteiler „The Best of Both Worlds“. Seine deutsche Stimme hier ist übrigens die von Herbert Weicker, Mr. Spocks Stammsprecher.
- „Fauler Zauber um übernatürliche Kräfte und blutigen Horror.“ (TIP)
- „Holprig inszeniert, miserabel gespielt – nicht mal die Special-Effects können das Spektakel retten.“ (CINEMA)
- „Vordergründig-platter, passagenweise abstoßender Horror-Thriller.“ (LEXIKON DES INTERNATIONALEN FILMS)