Hongkong/China 2004 / O: „Gaudzi“ / Prod.: Applause Pictures / Länge: 87 Min.
Regie: Fruit Chan / Kamera: Christopher Doyle / Prod.: Peter Chan / Buch: Lilian Lee
Miriam Yeung (Li Quing), Bai Ling (Mei), Tony Leung Ka Fai (Li Sije) sowie Wu Wai-Man, Pauline Lau, Wong Su-Fun u.a.
DUMPLINGS ist – vielleicht – einer der abseitigsten und unangenehmsten Beiträge zu den Themen „Kannibalismus“ und „Schönheitswahn“. Beides liegt so nah beinander. DUMPLINGS ist auch einer der ekligsten Filme, die ich jemals gesehen habe (und das meine ich im positiven Sinne), obwohl (oder gerade weil) sich Regisseur Fruit Chang mit den üblichen Gedärme-Effekten und Spannungsmitteln zurückhält und sich der Horror weitestgehend im Kopf des Zuschauers abspielt.
Quing, eine abgehalfterte Schauspielerin, die ihre beste Zeit längst hinter sich hat und in luxuriös ausgestatteter Tristesse dahinsiecht, besucht die geheimnisvolle Tante Mei. Von ihrem nicht weniger geheimnisvollen Rezept erhofft sie sich ewige Schönheit und Jugendlichkeit, ein Mittel, das kein Feinkostenladen führt und keine Schönheitsfarm anbietet.. Frau ist so alt, wie sie sich fühlt. Und Quing fühlt sich nun einmal sehr alt. Aber was ist nun Tante Meis geheimnisvolles Rezept gegen die Tücken des Alterns, gegen Falten und Wechseljahre? Abgetriebene Embryonen! Delikat zubereitet in leckeren Teigtaschen und mit Brühe serviert erhofft sich Quing eine ordentliche Verjüngerungskur. Ein abgetriebener Embryo für den kleinen Schönheits-Hunger und du fühlst dich gleich viel jünger.
Fruit Chans cineastischer Gourmethappen ist in seiner Ur-Version Teil der Kurzfilm-Reihe THREE EXTREMES und gibt es auch in Spielfilmlänge. Und das mit Erfolg: DUMPLINGS, so auch der Name dieser Embryo-Teigtaschen, ist einer der abartigsten und verstörendsten Horrorfilme der 2000’er Jahre (und darüber hinaus). Wer so schon seine Probleme mit dem asiatischen, genussvoll über alle Stränge schlagendem Genre-Kino hat, dürfte sich mit DUMPLINGS erst recht schwer tun. Doch wer bereit ist für Unterhaltung jenseits des Mainstreams, immer mit dem Risiko verbunden, vor dem Kopf gestoßen zu werden, wird mit einem Film belohnt, der schon allein durch seine befremdliche Geschichte auffällt. Das ist doch schon mal was in Zeiten lustlos herunter gespulter Remakes: Ein Film, dessen Geschichte einen aufhorchen lässt. In seinem Heimatland China lief Fruit Chans leckere Fressorgie nur in ganz wenigen Lichtspielhäusern, zu radikal und provozierend mag die Thematik den dortigen Kinobesitzern gewesen sein – obwohl eine Jahrtausend alte Tradition dahintersteckt. Vielleicht ist es aber auch das Gefälle zwischen Arm und Reich, so wie es hier dargestellt wird, die gegensätzlichen Welten, in denen Mei und Quing leben…
Da ist Quing, die sich in all ihrem Luxus so verloren fühlt und deren Reichtum nur innerliche Armut wiederspiegelt. Sie kann längst nicht mehr mit den jungen Dingern mithalten, mit denen sich ihr treuloser Gatte abgibt. Und da ist die lebenslustige Mei, die in einem ärmlichen Ghetto lebt, voller Lebensweisheiten steckt und munter plappernd auf die mutlose Quing einredet. Blendend schön sieht sie aus, obwohl sie doch schon so alt wie eine Greisin ist. Vor ihrer Zeit als Hobbyköchin arbeitete sie als Gynäkologin. Daher hat sie auch ihre heißen Quellen, mit deren Hilfe sie an frische, tote Embryonen gelangt. Virtuos schwingt sie Küchenbeil und Nudelholz, wobei sich bei der Zubereitung dieser ganz besonderen Maultaschen-Delikatesse schon das erste flaue Gefühl im Magen des Zuschauers einstellt. Dann der erste Biss, dieses Knacken und Würgen – erst kommt der Brechreiz, später das bloße Herunterschlingen, begleitet von bizarren Kaugeräuschen… Ja, DUMPLINGS ist keine leicht verdauliche (Genre-) Kost – Detailaufnahmen von fressenden Mündern sind auch nicht unbedingt appetitlich.
DUMPLIMGS lässt sich nicht so einfach in eine Genre-Schublade stecken. Psychothriller? Horrorschocker? Frauendrama? Gesellschaftssatire? Das anfängliche Ekelgefühl, das sich bei Quing vor dem ersten Kosten einstellt (und im weiteren Verlauf bei sensiblen Zuschauer-Mägen immer mehr verstärkt), schüttelt sie bald ab. Der versprochene Schönheitseffekt lässt noch auf sich warten, sie will Nachschlag und kommt immer öfter in Meis schäbigem Appartement zu Besuch. Einmal auf den Geschmack gekommen, kommt man nicht wieder davon los.
Wie es der Zufall des Leben so will, kommt gerade eine verzweifelte Nachbars-Mutter mit ihrer 15jährigen Tochter, die von ihrem Vater geschwängert wurde, vorbeigeschneit. Die möchte ihr 5 Monate altes Baby so schnell wie möglich loswerden und nach dem Flehen der Mutter macht sich Tante Mei an die Arbeit. Schließlich verspricht so ein 5 Monate alter Fötus eine besondere Wirkung. Die stellt sich denn auch ein, leider mit einer unangenehmen Nebenwirkung: Quing stinkt!
In der Vorstellung, die ich besuchte, verlies ein männlicher Zuschauer fluchtartig den Saal. War er gelangweilt? Angeekelt? Musste er zu Mutti? Dazu war ich gar nicht in der Lage, denn auch wenn DUMPLINGS schwer zugänglich sein mag, so zogen mich schon allein die hypnotisierenden Bilder in den Bann. Die intensive Kamera von Christopher Doyle war ganz nah im Geschehen: radikal, aber immer mit stilvoll-kühler Eleganz.
Ein sehr schöner Film.
- Getragen wird die groteske Geschichte von der faszinierenden Bai Ling, die als Jurymitglied bei der Berlinale 2005 wegen ihrer freizügigen Kleiderauswahl als „Berlinackte“ gebrandmarkt wurde. Sie spielte u.a. in THE CROW (1994), NIXON (1995), WILD WILD WEST (1999), ANNA UND DER KÖNIG (1999), DARK SPECIES (2001), SKY CAPTAIN AND THE WORLD OF TOMORROW (2004) und EDMOND (2005). Wegen ihrer Rolle in RED CORNER (1997) musste sie sich bei der chinesischen Staatsregierung entschuldigen.
- „…anstatt zu provozieren langweilt die Story nur mit geschmacklosen Fressorgien. Selten war chinesische Küche schwerer verdaulich.“ (CINEMA 08/05)
- „Wer auf platzende Gedärme und anderes Gekröse steht, wird hier nicht fündig, auch wenn der Horrorgehalt von DUMPLINGS im Grunde jede Gore-Großaufnahme eines freundlichen Zombie-Massakers wie einen Kindergeburtstag aussehen lässt.“ (VIRUS 05/05)
- „DUMPLINGS weist genretypische Elemente auf, setzt aber keineswegs nur auf Spannung, sondern auch auf bissige Satire, eine gehörige Portion Ekel und vor allem den Bruch mit Tabus.“ (WIDESCREEN 09/05)
- „Das ist ein lautstarkes Futtern, Lecken, Schmecken und Schmatzen (sogar die Vagina beim Sex macht mit!), dass sich einem die Nackenhaare sträuben!“ (MOVIESTAR 04/05)