„Ich weiß zwar nicht wer ich war, aber ich weiß, wer ich bin.“
Regie: Len Wiseman / Musik: Harry Gregson-Williams / Kamera: Paul Cameron / Schnitt: Christian Wagner / Ausf. Prod.: Ric Kidney, Paula Kucharski, Len Wiseman / Prod.: Neal H. Moritz, Toby Jaffe / Buch: Kurt Wimmer, Mark Bomback / Story: Kurt Wimmer, basierend auf der Originalstory von Dan O’Bannon, Ronald Shusett, Jon Povill / LV: Philip K. Dick
Darsteller: Colin Farrell (Douglas Quaid / Hauser), Kate Beckinsale (Lori Hauser), Jessica Biel (Melina), Bryan Cranston (Coohagen), Bill Nighy (Matthias), Bokeem Woodbine (Harry), John Cho (McClane), Will Yun Lee (Marek), Kaitlyn Leeb (die Frau mit den drei Titten) sowie Milton Barnes, James McGowan, Natalie Lisinska, Michael Therriault, Stephen MacDonald, Mishael Morgan, Dylan Scott Smith, Andrew Moodie u.a.
Kollektives Augenrollen, als bekannt wurde, dass ausgerechnet Len Wiseman (UNDERWORLD; STIRB LANGSAM 4.0) ein Remake von Paul Verhoevens Philip-K.-Dick-Verfilmung TOTAL RECALL (1990) in Angriff nehmen will – mit der Androhung, sich werkgetreuer an der 1966 erschienenen Originalgeschichte „We Can Remember It Four You Wholesale“ zu bewegen. Ein großes Vorhaben. Und doch nur eine leere Drohung. Denn bei einem Regisseur wie Len Wiseman ist die einzige Sorge: Wird die Mutantenbraut mit den drei Titten wieder mit dabei sein?
Totale Erinnerungen: 1990 spielte in Verhoevens Erstverfilmung Arnold Schwarzenegger den gelangweilten Fabrikarbeiter Douglas Quaid, der als Geheimagent aufregende Abenteuer auf dem Mars erlebte – allerdings nur in seinem Kopf, als implantierte, eingeimpfte Erinnerungen. Oder doch nicht? Wo liegt die Grenze zwischen Wahrheit und Realität, Traum und Einbildung, Erinnerung und Erlebtem? Die Suche nach der Identität gipfelte darin, dass Schwarzenegger zu Schwarzenegger sagte: „Du bist nicht du. Du bist ich!“
22 Jahre später werden unter der Regie von Len Wiseman ebenfalls Träumereien von Abenteuern auf dem Mars kurz erwähnt, nur die Reise dorthin findet gar nicht statt – genauso wie in der Kurzgeschichte. TOTAL RECALL anno 2012 spielt ausschließlich auf der Erde, die nach einer Nuklearkatastrophe größtenteils verwüstet wurde und für die Menschen nur noch 2 bewohnbare, durch einen gigantischen Lift verbundene Gebiete parat hält: „New Britain“ für die Oberschicht und „Die Kolonie“ (ehemals Australien) für die hart arbeitende Unterschicht. Das sind schon die gröbsten Unterschiede zur Erstverfilmung, mal davon abgesehen das anstatt des bulligen Schwarzenegger nun der deutlich schmächtigere Colin Farrell die Rolle des Douglas Quaid übernommen hat.
Mars und Mutanten fallen also komplett weg, ansonsten bleibt die Ausgangssituation die selbe: Auch hier wendet sich Fabrikarbeiter Douglas Quaid in der Hoffnung, ein aufregendes Abenteuer erleben zu wollen, an die auf (falsche) Erinnerungsimplantate spezialisierte Firma „Rekall“… – was aber im weiteren Verlauf keine Rolle mehr spielen soll, als noch während des Vorgangs ein Erschießungskommando in die Räumlichkeiten stürmt, wild ums ich ballert und Douglas Quaid im Affekt selbst zur Waffe greift. Ab diesem Zeitpunkt geht es nur darum, dass Colin Farrell ballernd und prügelnd vor seiner lieben Ehegattin (Kate Beckinsale) und dem von ihr angeführten, stets präsentem Polizei-Einsatzkommando flüchtet, nur um in der Rebellenführerin Melina (Jessica Biel, Michael Bays’s TEXAS CHAINSAW MASSACRE; NEXT) Unterstützung zu finden, was noch mal zusätzlichen Zündstoff für jede Menge Action-Getöse ist.
Die oftmals bemühte Floskel „Hier wird weder der Hauptfigur, noch dem Zuschauer eine Atempause gegönnt“ lässt einen nur noch innerlich aufkeuchen. Im Grunde genommen ist diese sogenannte TOTAL RECALL-Neuinterpretation nicht mal enttäuschend, denn der Film ist halt so, wie man ihn sich unter der Regie von Len Wiseman vorgestellt hat: laut, polternd, actionlastig. Mehr als eine Abfolge von Ballereien und Prügeleien ist in dieser Endlos- und Dauer-Verfolgungsjagd offenbar nicht drin gewesen, was auch kein Wunder ist, wenn ein Kurt Wimmer (EQUILIBRIUM; ULTRAVIOLET) in den Drehbuch-Credits herumgeistert.
Ich hätte mich gerne eines besseren belehren lassen. Es ist sehr schade, das dieser tolle Stoff mit dem Vorwand, sich „werkgetreu an der Literaturvorlage“ zu bewegen, so an die reine, konventionelle Action verschwendet wird. Sicherlich könnte man auch Verhoeven diesen Vorwurf machen, aber trotzdem nahm er sich in seiner Version der Dick’schen Kurzgeschichte Zeit für philosophisch angehauchte Gedanken-Spielereien und hintergründige Dialog-Passagen. Dort wurden einem auch mal Atempausen gegönnt. Bei Wiseman dagegen wird dauernd nur gerannt, gejagt und geschossen. Wie einfallslos.
Man kann sich drüber streiten, ob die Verhoeven-Variante eine adäquate Verfilmung von Dick’s Kurzgeschichte war, aber zumindest hatte sie Ecken und Kanten, war dreckiger und exzentrischer… halt pralles, comichaftes, (im positiven Sinne) trashiges Sci-Fi-Actionkino mit doppeltem Boden. Wiseman kommt ohne die zynischen Gewaltspitzen und augenzwinkernden Seitenhiebe aus, wie man sie von Verhoeven kennt und schätzt; seine Verfilmung wirkt allzu geschliffen, allzu perfekt und allzu auf Hochglanz poliert – mit den entsprechenden, durchkalkulierten Spezialeffekten.
Ja, da hat man wieder viele Dollars hinein investiert, wobei man sich in Sachen Düster-Look etwas zu sehr an die finstere Megacity in BLADE RUNNER und den post-apokalyptischen Stadtruinen in 12 MONKEYS orientierte. Sei’s drum: Von Handwerk kann hier keinesfalls die Rede sein, wenn gefühlte 90% des Films per Mausklick und Tastendruck entstanden. Insgesamt wirkt die hier zelebrierte Action planlos, konfus und reichlich verwackelt, womit Wiseman einmal mehr seine Inkompetenz als Regisseur auf einfältige Weise demonstriert. Die viel zu nah und unruhig gefilmten Prügelszenen und Kampfeinlagen, in denen Fäuste, Messer und Kanonen zum Einsatz kommen, ermüden auf die Dauer und weil der Cutter im Schneideraum mal wieder hyperventilierte, bekommt man im hysterisch-hektischem Schnitt-Gestümper oftmals gar nicht mit, was da geschieht. So entpuppt sich einer der Höhepunkte, eine Verfolgungsjagd mit Schwebeautos, die man in dieser Form auch schon in DAS 5. ELEMENT und MINORITY REPORT gesehen hat, als unübersichtliches, nervös geschnittenes Durcheinander.
Klar, dass da der Schauspieler nicht viel zu melden hat: Colin Farrell wirkt im wahrsten Sinne des Wortes arg gehetzt in dieser pausenlosen Dauerflucht, aber zumindest bemüht er sich noch, den innerlich zerissenen Charakter seiner Figur überzeugend darzustellen. Die Busen-Babes Jessica und Kate sind dagegen nur ärgerliche Fehlbesetzungen: diese aufgebrezelten, langweiligen Uschis hätten zwischendurch auch mal die Rollen tauschen können, es wäre nicht weiter aufgefallen.
Schade ist’s aber um 2 tolle Nebendarsteller: BREAKING BAD-Star Bryan Cranston (JOHN CARTER – ZWISCHEN ZWEI WELTEN) lässt sich zunächst in Bildschirmauftritten verheizen und ist als Bösewicht Coohagen, welcher im Original so hingebungsvoll von Ronny Cox als fieser Diktator verkörpert wurde, reichlich unterfordert, während der großartige Bill Nighy (UNDERWORLD; SHAUN OF THE DEAD; FLUCH DER KARIBIK 2) in seinem 5-Minuten-Kurzauftritt als Rebellenanführer nieder geballert wird, noch bevor er seinen philosophisch angehauchten Monolog in Sachen Identität zu Ende führen darf. Ja nicht zu viel rum quatschen, bitte! Anderen geht es kaum besser und so müssen auch John Cho (der „neue“ Sulu in STAR TREK) als „Rekall“-Programmierer und Bokeem Woodbine (WISHMASTER 2) als Quaids vermeintlicher Kumpel als Nebenrollen-Kanonenfutter herhalten.
Ridley Scotts BLADE RUNNER und Richard Linklater’s faszinierender A SCANNER DARKLY bleiben weiterhin die einzig wirklich adäquaten Verfilmungen einer Vorlage nach Phlip K. Dick; TOTAL RECALL von 1990 bot immerhin einige gute Ansätze, was ja auch nicht zu verachten ist. Alles andere waren meistens faule Kompromisse und / oder schlichtweg verunglückte Adaptionen, also Rohrkrepierer. NEXT beispielsweise war eine einzige Lachnummer, PAYCHECK nur eine x-beliebige, ermüdende Actionplotte (und das trotz der Regie von Profi Woo), Steven Spielbergs an und für sich gelungener MINORITY REPORT enttäuschte durch einen völlig verwässerten Schluss incl. aufgezwungenem Happy End und auch diese sogenannte Neuverfilmung biedert sich mit ihrer bloßen Mainstream-Attitüde beim Publikum an, ohne es aber wirklich heraus zu fordern. Offenbar fehlt Hollywoods Filmschaffenden, die einen mit ihren Filmen zu schaffen machen, der Mut, die Konsequenz oder einfach nur die Intelligenz sich ernsthaft mit Dicks‘ literarischem Werk zu befassen. Oder trauen sie dem Publikum nicht mehr zu? Oder haben Angst vor einem finanziellen Reinfall? Dann lieber doch die Action-Schiene.
4/10