„Wir haben den Überblick über die Toten verloren.“
Regie, Schnitt + Buch: John Geddes / Musik: Nate Kreiswirth, Jeff Graville, Ben Nudds / Kamera: Brendan Uegama / Prod.: Matt Wiele, Jesse Thomas Cook, John Geddes / Make-Up-Effekte: The Brothers Gore
Darsteller: Mark Gibson (Edward Young), Dee Wallace (Eve), Bill Moseley (General Williams), Stephen McHattie (Johnson), Adam Seybold (Isaac), Jordan Hayes (Emma), Ari Millen (Wayne), Jason David Brown (Roy), Sarah Stunt (Julia Young), Christian Martyn (Adam Young), John Geddes (Cliff), Jesse Thomas Cook (Hank) und Brian Cox (Erzähler, OV) sowie Matt Griffin, Tony Burgess, Tim Fretwell u.a.
Zombiefilme gibt es mittlerweile so viele wie es Zombies gibt und da wäre es doch auch mal schön, einen Genre-Beitrag abseits der üblichen Untoten-Klischees, den vollmundig zelebrierten Fress-Happenings und dem geselligen Gedärm-Gewühle zu sehen. In der Masse dieses Zombiefilm-Gewusels, das ja im Monatsrhythmus über uns hereinbricht und mit seinen altbekannten Handlungssträngen zu Wiederholungen neigt, findet sich mittlerweile viel zu selten Originelles: PONTYPOOL war da 2008 eine kleine Sensation, weil dort komplett auf Klischees verzichtet und der Schrecken rein akustisch spürbar wurde, und WASTING AWAY (2007) ein herrlicher Spaß, weil man hier die Geschehnisse zur Abwechslung aus der Sicht der Zombies erzählte.
EXIT HUMANITY erfindet das Rad sicherlich neu, fügt dem Zombie-Genre aber durchaus einige neue Aspekte hinzu und kommt zur Abwechslung auch mal ohne die üblichen Zutaten wie schießwütige Militärs, außer Kontrolle gelaufenen Experimenten, dem verhängnisvollen Virus oder dem guten, alten verrückten Wissenschaftler aus. Eine Abwechslung stellt auch die Zeit dar, in der EXIT HUMANITY spielt: Tennessee im Jahre 1871.
Der Amerikanische Bürgerkrieg, der das Land in Chaos und Verderben stürzte, ist kaum ausgestanden, da eröffnet sich schon der nächste Albtraum: Die Toten steigen aus ihren Gräbern und wandeln durch das Land und durch die Wälder. Der aus dem Krieg heimgekehrte Soldat Edward Young findet Frau und Sohn nur noch tot vor; für ihn Anlass, um der Trauer und der Resignation zu verfallen. Traumatisiert und mit den Nerven am Ende, macht sich Edward Young auf die Reise, um den sterblichen Überresten seines Sohnes die letzte Ehre zu erweisen.
Unterwegs begegnen ihm massig Untote – und dann, in einem längst aufgegebenem Dorf, der Überlebende Isaac (Adam Seybold). Dieser fleht Edward an, seine Schwester Emma (Jordan Hayes, HIDDEN 3D, 2011) aus der Gefangenschaft des skrupellosen und ganz offensichtlich wahnsinnigen General Williams (Bill Moseley, TEXAS CHAINSAW MASSACRE 2, 1986; KAMPF DER ROBOTER, 1990; DAS HAUS DER 1000 LEICHEN, 2003; THE DEVILS REJECTS, 2005; HALLOWEEN, 2007) zu befreien. Dieser kidnappt mit seiner Brutalo-Bande wahllos Menschen, um mit der Unterstützung eines kaputten Arztes (Stephen McHattie aus PONTYPOOL) an ihnen grausige Experimente durchzuführen. Williams ist überzeugt davon, das es ihm gelingt die Zombie-Epidemie auszumerzen. Während Edward und Isaac ihre Pläne schmieden, stoßen sie auf die im Wald lebende, als Hexe gebrandmarkte Eve (Dee Wallace, THE HILLS HAVE EYES, 1977; HOWLING, 1980; ABOMINABLE, 2005; VOODOO MOON, 2005; HALLOWEEN, 2007) – von der sie schließlich die schreckliche Antwort auf all ihre Fragen erfahren…
Das der Mensch grausamer als jeder Zombie ist, wurde ja nun schon genügend thematisiert (allen voran vom guten, alten George A. Romero) und kommt auch hier zur Sprache. EXIT HUMANITY ist ein kleines Juwel in seiner Liga und gewinnt durch allerlei neue Aspekte, wobei hier vor allem das in diesem Sub-Genre ungewöhnliche Setting für gehörige Abwechslung sorgt. Das die Ursprünge der grausig-traurigen Geschehnisse nicht in einem von Mensch gemachten Virus, sondern in den Mysterien der Natur zu finden sind, wird hier ebenfalls auf eindringliche und verhängnisvolle Weise geschildert.
John Geddes, der bislang als Schauspieler (u.a. MONSTER BRAWL, 2011) in Erscheinung trat und als Co-Regisseur 2008 einen völlig untergegangenen Slasher namens SCARE inszenierte, ist in seinem Solo-Regiedebüt nicht an detaillierten Fress- und Schmatzszenen interessiert. Stattdessen legt er hier Wert auf eine fesselnde, fast schon episch angelegte und in Kapitel unterteilte Geschichte, die er in äußerst stimmige Bilder kleidet. Tod und Trostlosigkeit sind hier die ständigen Begleiter.
EXIT HUMANITY beginnt wie ein hoffnungsloses, trauriges Drama, in dem Edward Young, vom Krieg sowieso schon zermürbt und ausgezerrt, mit dem Tod seiner Familie konfrontiert wird und so fertig mit der Welt ist, das er (in einer etwas überstrapazierten Szene) nicht mal mehr in der Lage ist, sich selbst in den Kopf zu schießen. Über die gesamte Laufzeit wird der Zuschauer immer wieder mit den Gedanken, den (Alb-) Träumen und der Gefühlswelt des Protagonisten konfrontiert: Hier steht der Mensch und nicht der Zombie im Vordergrund. Für zusätzliche Authentizität sorgt (in der Originalfassung) der renommierte Brian Cox, der mit seiner eindringlichen Stimme als Erzähler fungiert und auch in der deutschen Fassung mit der markanten, tiefen Stimme von Klaus Sonnenschein (bekannt auch als Stammsprecher von Morgan Freeman) sehr gut synchronisiert wurde. Ingesamt betrachtet lebt dieser Film von seinen sehr guten Darstellern, wobei man Knitterface Stephen McHattie (mit ihm hält der irre, versoffene Mad Scientist dann doch Einzug in die Geschichte) noch etwas mehr Screentime gewünscht hätte.
Das Mainstream orientierte Publikum wird hier sowohl Action als auch zünftige Effekte vermissen und dem einen oder anderen dürfte der ruhig erzählte Film etwas zu dialoglastig und tempoarm ausfallen, doch stehen hier zur Abwechslung mal eben nicht Genre typische Konventionen und Grausamkeiten, sondern die Entwicklung und Entfaltung von Charakteren in einer ernsthaft angelegten Geschichte im Vordergrund.
Und auch wenn der Fokus nicht auf bluttriefende Splattereffekte liegt, so ist EXIT HUMANITY alles andere als zimperlich: neben einigen blutigen Kopfschüssen, die die in bester Romero-Manier langsam vor sich hintrottenden Zombie-Gestalten ertragen müssen, kommen einige Momentaufnahmen des Grauens hinzu, wie etwa der Besuch eines scheinbar verlassenen Geisterdorfes inmitten abgesäbelter, gepfählter Köpfe. Für zusätzliche Dynamik sorgen außerdem immer wieder kurz eingestreute Comic-strip-Sequenzen, die sich kongenial in die düstere Geschichte einfügen und von der Konfrontation mit den blutgierigen Untoten-Horden erzählen. Zugegebenermaßen sind Zeichentrickszenen in einem Realfilm alles andere als neu, doch die Art und Weise der Anwendung funktioniert hier einfach prächtig. Geddes, der hier auch als Drehbuchautor, Cutter, Co-Produzent und Nebendarsteller fungiert, hat in seiner ambitionierten Regiearbeit lauter solche kleinen, feinen Einfälle parat: eine hübsche Idee ist auch jener schräge Moment, in dem General Williams und seine fiese Bande per Fotoshooting vorgestellt wird.
EXIT HUMANITY besticht durch vielerlei interessante Facetten, die ihn über den Durchschnitt heben, wie etwa dem hier geschilderten Ursprung des Zombie-Daseins oder das dieses Untoten-Pack zum Ende sogar als Waffe eingesetzt wird. Gelungen ist auch der Kontrast zum üblichen Zombiefilm-Allerlei und die desillusionierende Endzeitstimmung, die sich hier breit macht: wo sonst menschenleere, verlassene Großstädte als Handlungsort dienen, ist es hier die scheinbar endlose Weite der Landschaft und die Dichte der umgebenden Wälder, die hier für ein beklemmendes Gefühl sorgt. Adäquate Unterstützung findet der Film auch in dem erstklassigen Score, der sich perfekt in das Gesamtbild einreiht.
Sicher wird dieses Werk für geteilte Meinungen sorgen, doch wer mal ein bisschen über den Tellerrand hinaus blickt, wird mit einem glänzend inszenierten, eindringlich erzählten, atmosphärisch dichten und ungewöhnlichen Genre-Beitrag belohnt, der dem Zombiefilm einige neue Seiten abgewinnt. Seine erste Solo-Regie hat John Geddes jedenfalls mit Bravour bestanden, so das man sich schon auf seinen nächsten Film freuen kann.
7,5/10