Regie: Pete Travis / Musik: Paul-Leonard Morgan / Kamera: Anthony Dod Mantle / Schnitt: Mark Eckersly / Ausf. Prod.: Stuart Ford, Deepak Nayar, Adi Shankar / Prod.: Alex Garland, Andrew Macdonald, Allon Reich / Buch: Alex Garland / Comicvorlage: John Wagner, Carlos Ezquerra
Darsteller: Karl Urban (Judge Dredd), Olivia Thirlby (Cassandra Anderson), Lena Headey (Ma-Ma), Wood Harris (Kay), Domhnall Gleeson (Clan Techie), Langley Kirkwood (Judge Lex), Warrick Grier (Caleb), Jason Cope (Zwirner), Rakie Ayola (Chief Judge), Joe Vaz (Big Joe), Scott Sparrow (Japhet) u.a.
JUDGE DREDD ist wieder da! Und sorgt in seinem zweiten Leinwandauftritt dafür, dass die unglückliche Erstverfilmung (1995) von Danny Cannon, in der Sylvester Stallone (welcher sich damals gerade auf seinen ganz persönlichen absteigenden Ast bequem machte) in die Rolle des Richters, Geschworenen und Vollstreckers schlüpfte, endgültig in die Abteilung unter „Ferner liefen“ verschwindet. Gut so. Denn mit der 1977 von Comicautor John Wagner erdachten Figur hatte die unsägliche und weichgespülte 95er-Verfilmung außer dem Namen nicht mehr viel gemein: statt einer düsteren Zukunftsvision dominierte hier eine kunterbunte Bonbonwelt, die eher zu den poppigen Big-Budget-Pulp-Orgien in Joel Schumachers BATMAN-Filme passte und im Nachhinein peinlich-alberne Akzente (was durch den nervigen Rob Morrow, den man Stallone als Kasper-Sidekick an die Seite stellte, bekräftigt wurde) setzte. Von Stallone’s „Ich bin das Gesetz“-Geschwafel ganz zu schweigen.
JUDGE DREDD anno 2012 kehrt diesen Misstand ganz lässig weg. Mit den vereinten Kräften von Regisseur Pete Travis (8 BLICKWINKEL), Drehbuchautor Alex Garland (28 DAYS LATER; SUNSHINE) und Kameramann Anthony Dod Mantle (28 DAYS LATER; SLUMDOG MILLIONÄR; DOGVILLE) werden wir, ganz im Sinne von John Wagners Comicvorlage, in eine grimmige, düstere, zynische Zukunftsvision hinein katapultiert: Hier ist die Erde zum großen Teil unbewohnbar geworden; Millionen Menschen leben zusammen gerottet in Mega City One, einem schier endlosen Metropolen-Moloch mit pulsierenden Verkehrsadern und Hochhausschluchten, in dem Armut, Gewalt und Drogenkriminalität längst der Normalzustand sind.
Was für eine vielversprechende Ausgangsprämisse für einen handfesten Old-School-Actionkracher! Die Macher halten ein, was sie versprochen haben und bieten harte, raue und rabiate Actionkost, wie wir sie aus den 80ern und späten 70ern kennen, schätzen und lieben. Der neue DREDD ist so wunderbar düster, dreckig und brutal – dagegen wirkt die Erstverfilmung wie ein Kindergarten.
Dieser DREDD ist der Bruder im Geiste von Paul Verhoevens ROBOCOP und weckt Erinnerungen an John-Carpenter-Klassiker wie ASSAULT ON PRECINCT 13 und DIE KLAPPERSCHLANGE, aber letzten Endes stapft er seine eigenen Schritte. Es ist so schön, wenn das Flair vergangener Filmdekaden hier heraufbeschworen wird – sogar die aus diversen Italo-Trash-Endzeitfilmen (die ja bis Mitte der 80er die Videotheken belagerten) allzu vertraute Einleitung durch die allmächtige Stimme aus dem Off fehlt hier nicht. Wie sich bald heraus stellt gehört sie dem „neuen“ Judge Dredd.
17 Jahre nach dem Sylvester-Stallone-Debakel gibt nun Karl Urban (RED; STAR TREK) den Dredd in diesem zweiten, viel besseren und überzeugenderen Film, der nicht nur konsequent hart ist, sondern auch konsequent in seiner Umsetzung – inklusive der Tatsache, dass Dredd seinen stählernen Helm hier nicht ein einziges Mal absetzt (im Gegensatz zur Erstverfilmung). Vielleicht mag es John Wagners Mitsprache am Film gewesen sein, dass Dredd, wie in der Comicvorlage, seinen charakteristischen Helm aufbehält. Was auch zur Folge hat, dass man von Karl Urban nie mehr als sein trotziges Kinn und die herunter hängenden Mundwinkel zu sehen bekommt. Urban ist ein Schauspieler, der es mühelos schafft, auch mit eingeschränktem Gesichtsfeld noch genug Power und Charisma auszustrahlen.
Ihm zur Seite steht die junge, zierliche und unerfahrene Cassandra Anderson (Olivia Thirlby, DARKEST HOUR), die aufgrund ihres ganz besonderen Talents ohne Helm auskommen muss: sie ist telepathisch begabt. Das Metall auf ihrem Kopf würde nur den freien Fluss der Gedanken behindern. Der erste gemeinsame Einsatz führt den erfahrenen Judge Dredd und seinen Lehrling in ein verwinkeltes Wolkenkratzer-Labyrinth: ein Slum, der in die Höhe ragt. In diesem sozialen Brennpunkt hat Drogenbaronin Ma-Ma (Lena Headey, LAID TO REST; THE CAVE; DER ROTE BARON und natürlich GAME OF THRONES) das Kommando; eiskalt herrscht sie über ihr Reich. Von dort aus versorgt sie Megacity mit einer neuen Droge; eine, die die triste Welt ein bisschen bunter macht und die Wahrnehmung verlangsamt. Dem versuchen Judge Dredd und sein Schützling ein Riegel vorzuschieben. Doch Ma-Ma macht die Schotten dicht und die beiden sind ganz auf sich alleine gestellt. Ein blutiges Gemetzel über 200 Etagen ist die Folge…
…und viel mehr passiert auch nicht. Sicherlich könnte man die überschaubare Geschichte bemängeln, doch da ist der Film diesem kleinkariertem Gejammer mindestens einen Schritt voraus: er beschränkt sich auf das Wesentliche – mit aller Gewalt. Und mittendrin im erbarmungslosen Kampfgetümmel wechselt Regisseur Travis gerne Stil und Tempo des Films. Eben noch hämmern sich Bilder roher, unerbittlicher Gewalt in den Schädel ein: eine Ballerei über mehrere Etagen, Blut fließt, Kugeln und Körperfetzen tänzeln durch die Luft. Und dann, mit einem Mal, tauchen wir in einen funkelnden Drogenrausch-Exzess ab, in dem die Zeit still zu stehen scheint und die Schwerelosigkeit zu einem Begleiter wird – nur um uns kurz darauf inmitten einer exzessiven Schießerei wieder zu finden. Hinzu kommt ein wummernder, minimalistischer und grandioser Synthie-Score, der mit seinen pulsierenden Rhytmen kongenial die finstere Stimmung unterstützt.
Wenn man diesen Film als Genre-Fan nicht in einem Kino gesehen hat, hat man wirklich was verpasst. Allzu gerne hätte ich hier noch eine Fortsetzung gesehen, doch die wird wohl unwahrscheinlich bleiben: DREDD war in den USA ein Flop. Unverständlich. Wer harte, handgemachte 80er-Jahre-Action schätzt und ein Faible für dreckigen Filmlook, dystopische Zukunftswelten und sinnvoll eingesetzte 3D-Effekte hat, ist hier genau richtig. DREDD ist ein Meisterwerk in seiner Liga!
9/10
- DREDD erscheint auf DVD und Blu-ray (2D + 3D) am 27.03.2013 im Verleih und am 19.04.2013 im Handel bei universum film